Graffenrieds Gründung. Von Nicolas Ryhiner.

Nicolas Ryhiner wandelt in seinen Büchern auf den Spuren ausgewanderter Eidgenossen. Den Stoff für seinen Erstling fand der Sprössling  des erweiterten Basler «Daig» im eigenen Vorfahrenregister, handelt «Im Surinam» doch vom Handelskaufmann Johann Rudolf Ryhiner und dessen dortigem Wirken im frühen 19. Jahrhundert. Diesmal geht es um die Kolonie, die der Berner Christoph von Graffenried 1710 in Nordamerika errichtete.

«Graffenrieds Gründung» stand unter einem schlechten Stern, glaubt man den Memoiren, die der gesellschaftlich geächtete Rückkehrer um 1730 im Schloss Worb verbittert und ständig gestört vom letzten verbliebenen Bediensteten zu Papier bringt. Schon die achtwöchige Überfahrt auf dem Dreimaster «Berna» anno 1710 erwies sich als Grenzerfahrung für die Belegschaft und die Passagiere, Wiedertäufer und Simmentaler Bauern, die von der Berner Obrigkeit nach Übersee abgeschoben worden waren. Auch «New Bern», das Graffenried an der Südostküste der heutigen USA gründete, verzeichnete einen mehr als harzigen Start. (Heute zählt die Stadt laut Wikipedia immerhin 30'000 Einwohner.)

Zwar hatte sich der Gründer die Unterstützung von Königin Anne von England dadurch gesichert, dass er auf seinen Trip in die damals noch englischen Gebiete um ihres Glaubens wegen Verfolgte aus der Pfalz mitnahm, die zu jener Zeit als Flüchtlinge London überschwemmten. Doch örtliche Autoritäten erwiesen sich als Schlitzohren, die politischen Verhältnisse waren kompliziert, ihm zugesicherte Latifundien entgegen den Versprechungen von Indigenen bewohnt und auch sonst deckte sich wenig mit den königlichen Zusicherungen und den Vorstellungen des Schweizer Idealisten. Sein Traum endete in einem Krieg mit dem indigenen Stamm der Tuscarora, bevor er ernüchtert und rundum gescheitert nach Hause zurückkehrte.

Wer zu unterhaltsamen Romanen aufbereitete Schweizer Regionalgeschichte liebt, ist bei Ryhiner an der richtigen Adresse. Ich habe mich von ihm nach «Surinam» gerne auch nach «New Bern» mitnehmen lassen.  

2020. Das Jahr 0. Von Felix Robert Keller.

Mutig, den hochchristlichen Ausdruck «Jahr 0» in den Titel zu integrieren in einem Buch, welches so gar nix mit Jesus und Religion zu tun hat. Das «2020» hingegen weist darauf hin, dass der Hauptdarsteller in diesem Buch ein Virus ist. Und das stimmt dann auch.

Felix Robert Keller hat in seinem knapp 280seitigen Buch rund 90 Geschichten aufgeschrieben, die  während der Corona-Zeit im Leben von einem hoch betagten, aber durchaus geistig fitten und körperlich zumindest mobilen Ehepaar stattgefunden haben. Wir begeben uns mit den beiden in alle Lebenslagen, die Menschen – vor allem ältere – während der unseligen Pandemie durchlebt haben. Wir nehmen an ihren eingeschränkten Aktivitäten teil, erleben ihre Sorgen und Gedanken und werden auch Zeugen von kleinen Kabbeleien und Machtkämpfen. Wir treffen mit Paul und Frieda, so heissen die beiden, neue und alte Bekannte, schliessen neue Freundschaften und werden Zeugen, wie das Ehepaar zu einer Art «Ersatzgrosseltern» werden. Die Geschichten sind chronologisch erzählt, d.h. sie beginnen im September 2020 und enden im Juli 2022. Und sie werden mit Medienschlagzeilen eingeführt, die aber leider nicht zu den entsprechenden Erzählwochen passen.

Diese Geschichten sind allesamt kurz gehalten, rührend und sehr kompakt und gut formuliert. Der ausgezeichnete Schreibstil des langjährigen Werbers und Journalisten Keller schlägt voll durch und man muss sich nicht über komische und sinnleere Formulierungen ärgern.

«2020 – Das Jahr 0» hat allerdings in meinen Augen einen entscheidenden Nachteil: Es behandelt eine Thematik, die wir alle eigentlich schnell vergessen wollen und eigentlich ist es verwunderlich, wenn man zu diesem Thema ein Buch lesen will, welches den Anspruch hat, zu unterhalten.  Es handelt in einer Pandemie, die während zweier Jahre unser Leben massiv beeinflusst hat und eigentlich nur Nachteile hervorbrachte. Und eine Zeit, die – wenn man alt ist und sich nicht mit beruflichen Widrigkeiten auseinandersetzen musste – eigenlich nur langweilig war: Tagelang eingesperrt und wenig andere Möglichkeiten als ein Spaziergang im Wald. Und so kommt es, dass das Buch natürlich keine Thriller-Qualitäten aufweist, sondern sich eher für die Lektüre zwischendurch eignet. Die Geschichten folgen keinem Plot, sie sind willkürlich zusammengetragen. So kommen dann auch verschiedene Themen, wahrscheinlich wie im richtigen Leben, immer wieder vor: Der Tod des eigenen Kindes, die schmerzende Hüfte, die täglichen Telefonate mit alten Freunden etc. Das kommt dann eben etwas spannungslos daher.

Das Buch ist im IL-Verlag Basel erschienen und kostet etwas um die 20 Franken (je nach Bezugsquelle). Etwas irritierend sind – wie erwähnt – die Medienschlagzeilen, die sich nicht konsequent an die Chronologie der Geschichten anpassen und die Seitenzahlen, die nach Seite 199 wieder bei 1 beginnen.

Der «Erstling» des Autors (er hat bei der Buchtaufe ein zweites Buch nicht ausgeschlossen…) ist amüsant und rührend zu lesen. Ein allfälliges zweites Buch ist hoffentlich einem weniger mühsamen Thema als Covid-19 gewidmet.

Dream Count. Von Chimamanda Ngozi Adichie.

Frauenliteratur stand lange nicht zuoberst auf meiner To-read-Liste. Erst nach längerem Zögern hatte ich mir im März 2021 Bernardine Evaristos «Frau, Mädchen etc.» heruntergeladen - und war begeistert: https://www.buechercheck.com/2021/08/03/maedchen-frau-etc-von-bernardine-evaristo/. So griff ich ohne Zögern zum neuen Buch der aktuell vielgepriesenen 47-jährigen nigerianischen Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie, schien der Klappentext doch ein typähnliches Konzept zu schildern: «Vier Frauen, vier Leben und die Sehnsucht nach Sichtbarkeit, Liebe und Selbstbestimmung».

Bei den vier schwarzen (oder wie in der deutschen Übersetzung politically correct ‘Schwarzen’) Frauen mit nigerianischem Pass handelt es sich um die Reiseschriftstellerin Chiamaka, die zwischen ihrem Herkunftsland und ihrem US-Zuhause pendelt, ihre alleinerziehende Haushälterin Kadiatou, die Anwältin Zikora, die in Washington D.C. wohnt und Omelogor, die in der Heimat geblieben ist. Die Vier halten permanent über die Kontinente hinweg Kontakt und diskutieren ihre Probleme, die von der wehmütigen Bilanz gewesener Liebhaber («Dream Count») über die Konflikte mit der Mutter oder die Beihilfe zu korrupten Bankgeschäften bis hin zum Vergewaltigungsprozess reichen.

Leider erreicht dieser 460-seitige unablässige Austausch zwischen dem Quartett nicht annähernd die Qualität und Originalität von Evaristos Figuren und Schicksalen. Die desillusionierte Aufzählung von Chiamakas Verflossenen berührte mich gar über weite Strecken peinlich, was auch an meinem biologischen Geschlecht liegen mag. Aber dass sich die Autorin nicht geniert, für die Geschichte des Hotelzimmermädchens Katiadou 1:1 jene von Nafissatou Diallo nachzuerzählen – also jenes guineeischen Zimmermädchens, das 2010 vom französischen Diplomaten Dominique Strauss-Kahn in einer New Yorker Hotelsuite vergewaltigt worden war – ist ebenso deplaziert missionarisch wie billig. Leider hat mich das Buch über weite Strecken gelangweilt.

Als wir Schwäne waren. Von Behzad Karim Khani.

Behzad Karim Khani wurde 1977 in Teheran geboren und wuchs dort in einer Künstlerfamilie auf. Mit zehn Jahren floh er mit seiner Familie nach Deutschland, wo er in Bochum Kunstgeschichte und Medienwissenschaften studierte. Seit 2003 lebt er in Berlin-Kreuzberg, wo er von 2012 bis 2022 eine Bar betrieb. Seinen Debütroman haben wir 2022 gecheckt:

https://www.buechercheck.com/2022/11/30/hund-wolf-schakal-von-behzad-karim-khani/.

Auch in seinem zweiten Buch macht Khani sein Aufwachsen als iranischer Junge in Deutschland zum Thema. Diesmal fokussiert er nicht auf die deutsche Hauptstadt als Zentrum der hauptsächlich ausländisch konnotierten Bandenkriminalität, sondern auf das Ruhrgebiet, wo er seine Jugendjahre verbracht hat. Dementsprechend schlägt der junge Wilde, in den er sich und uns zurückversetzt, versöhnlichere Töne an. Es gibt zwar auch im «Pott» Gewalt in den Strassen, aber auch heitere Momente, Demütigungen ebenso wie glückliche Kindheitserinnerungen.

Bewegend ist das Porträt, das der Autor von seinem Vater zeichnet. Der in seiner Heimat geschätzte, feinsinnige und gebildete Künstler hat sich mit dem Exil im fremden Land nie arrangiert und reagiert auf die Demütigungen des Lebens vor Migrationshinterhund mit ausdauerndem Schweigen. Der 48-jährige Deutsch-Iraner Khani erzählt aber nicht nur von den Eingewanderten als Aussenseiter der Gesellschaft, sondern auch von denen, die sie zu solchen machen. Anders als in seinem ersten Buch tut er dies weniger aggressiv, brutal und impulsiv, sondern wählt vielmehr eine bedachtere, poetische und bildreiche Sprache.

Allen, die unreflektiert die Parolen rechtskonservativer Parteien in Migrationsfragen nachbeten, sei dieser packende Roman ans Herz gelegt. Er handelt von einer Familie, die nach Deutschland kam, ohne dort wirklich angekommen zu sein. Kein leichter Stoff, aber auf jeden Fall lesenswert!

Nicht mein Leben. Von Adolf Muschg.

«Nicht mein Leben» hat der Schweizer Übervater der Hochliteratur sein neustes Buch betitelt. Doch natürlich ist es das eigene Leben, dessen letzter Phase sich Adolf Muschg in dieser Geschichte annimmt. Schon die Initialen des Protagonisten August Mormann deuten darauf hin, aber auch dessen Vorliebe für Japan, die der Historiker seiner von dort stammenden Gattin verdankt. Auch Muschg ist bekanntlich mit einer Japanerin verheiratet.

Dieser Mormann also, ein achtzigjähriger ehemaliger Schweizer Gymnasiallehrer für Alte Sprachen und Spezialist für das alte und neue Europa sucht sich in dieser Geschichte ein Grab auf einem Zürcher Friedhof aus. Seine dritte Ehefrau Akiko Kanda hat den Wunsch geäussert, dereinst an seiner Seite begraben zu werden. Bei diesem Streifzug entdeckt er die letzte Ruhestätte des ehemaligen Mitschülers Robin, dessen Freundschaft ihm in einer schwierigen Jugend eine grosse Hilfe gewesen war. Diese Erinnerung bringt Mormann dazu, sein Leben zu überdenken, und er tut das in seinem Haus und seinem Arbeitszimmer, die man aus unzähligen Reportagen über den Altmeister wiederzuerkennen glaubt. Schliesslich reist er widerwillig zu einer Tagung in Triest, die wegen des gleichzeitigen Ausbruchs des Ukrainekriegs ein Flop wird. Und als er wieder nach Hause kommt, ist seine Frau verschwunden.

Bücher von alternden Männer sind nicht immer frei von Peinlichkeit. Martin Walsers «Traumbuch» etwa fand ich schrecklich, ebenso Paul Austers «Baumgartner», auf den ich andernorts in diesem Blog verwiesen habe. https://www.buechercheck.com/2024/02/05/das-spaete-leben-von-bernhard-schlink/. Da ist «Nicht mein Leben» von einer ganz anderen Qualität. Gelassen und abgeklärt setzt sich der mittlerweile 92-jährige Autor mit dem Ge- und Misslingen seines Daseins auf der Erde auseinander; dessen nahendem Ende schaut er gelassen entgegen. Ein kleines Werk, aber grosse Literatur.

Ein ungezähmtes Tier. Von Joël Dicker.

Joël Dicker hat es wieder getan: Er nennt sein Buch: Roman. Ich nenne es: Einen erstklassigen Thriller. G-E-W-A-L-T-I-G-!

Der Schreibstil von Dicker nötigt den Lesenden eine grosse Portion von Konzentration ab. Zu Beginn der Geschichte ist da ein Ehepaar, welches ein Traumleben in einem Vorortsteil von Genf lebt: Tolles Haus, tolle Kinder und ein tolles Ehepaar, welches von allen - besonders von den NachbarInnen - für dieses Glück bewundert wird. Und ja, da spielt auch Neid mit. Wir alle, die nicht in diesem Luxus leben, müssen leer schlucken bei diesem Glück. Schönes Auto, tolle Jobs, ein geregeltes und wunderbares Leben (für die, die sowas mögen...).

Der Autor arbeitet mit unzähligen Rückblicken, die mich persönlich normalerweise eher nerven. Aber es sind genau diese Rückblicke, welche die Geschichte mal für mal einreissen und uns Lesende mit wunderlichen Augen zurücklassen. Sie geben dem Plot ein irres Tempo und mit jeder Seite ändert sich die Geschichte, bis sie sich so darstellt, wie man sie in den ersten 100 Seiten niemals erwartet hätte. Die Geschichte ändert sich permanent, immer vorangetrieben von - gut strukturierten - Rückblicken in die Vergangenheit der Protagonisten.

Und am Schluss ist nichts mehr so, wie es zu Beginn des Buches war. Und Joël Dicker schafft es, ein Ende zu konstruieren, welches man absolut nicht erwartet oder vorausgesehen hat. Grosses Kino.

Ich würde zu gerne einmal in die Schreibstube des 40jährigen Schweizer Autors schauen. Da muss ein Meer von Post-Its an den Wänden kleben. Denn sonst kann man eine solche Geschichte nicht schreiben, ohne den Überblick zu behalten...

Also: Dieses Buch ist teuer, es kostet in der Schweiz knapp 40 Franken. Aber die 425 Seiten im Karton-Cover-Buch von Piper sind jeden Franken wert. Kaufempfehlung: Unbedingt. Die Geschichte, die übrigens ohne Blutmode auskommt, ist spannend, nein, SEHR spannende, nicht voraussehbar und grossartig konstruiert.

Ich freue mich jetzt schon auf das nächste Dicker-Buch. Und ich bin mit Stolz erfüllt, dass wir in unserem kleinen Land einen grossartigen und höchst erfolgreichen Autor haben.

Es werden schöne Tage kommen. Von Zach Williams.

«Dystopisch» seien die Short Stories des 37-jährigen US-Autors Zach Williams, der mit «Es werden schöne Tage kommen» sein zweites Buch vorlegt. Und tatsächlich haben es seine Kurzgeschichten in sich. Im Aufbau ähneln sie denjenigen des Japaners Haruki Murakami, deren Fan ich erklärtermassen bin (https://www.buechercheck.com/2021/03/14/erste-person-singular-von-haruki-murakami): Sie beginnen harmlos mit x-einer Alltagssituation und entwickeln sich langsam und fast unbemerkt hin zu mehr oder weniger albtraumhaft-surrealen Finalen, die den Leser meist ratlos, in jedem Fall aber fasziniert zurücklassen.

Da werden die harmonischen Ferien eines Ehepaars mit Kleinkind in einem Cottage irgendwo in idyllischer Wildnis zum Horror, weil die Eltern den Weg zurück in die Aussenwelt nicht mehr finden, ob der Suche danach alt werden und sterben, während der Junge das Wachstum eingestellt hat und als Baby allein zurückbleibt. Oder ein Vater stellt beim gemeinsamen Bad mit seinem Sohn fest, dass dem Kind ein sechster Zeh gewachsen ist und zückt kurz entschlossen die Beisszange, um ihm - ohne Betäubung natürlich - das Überbein abzuzwacken. Ein anderer willigt ein, mit einer fremden Frau zu schlafen, während ihr Mann aus dem Schrank zuschaut und kommt beim heimlichen Öffnen dessselben einem schauerlichen Geheimnis auf die Spur. Und so schraubt sich eine Kurzgeschichte nach der anderen von der Normalität in die Absurdität und puren Schrecken hoch und lässt den Leser einigermassen verstört zurück.

Die Sammlung «Es werden schöne Tage kommen» verdient die Lorbeeren, die ihr nach dem Erscheinen Barack Obama persönlich zugedacht hat. Der ex-Präsident der USA nahm dieses zweite Opus von Williams nämlich in seine millionenfach verfolgte Leseliste auf. Verdient!

In einem Zug. Von Daniel Glattauer.

Es kommt gelegentlich vor, dass Autorinnen und Autoren die Kulturwelt völlig unerwartet mit einem erfolgreichen Erstling überraschen und diesem dann den Rest ihrer Karriere hinterher hecheln, ohne dass sie ihr «one hit wonder» je wiederholen könnten. Diesen Eindruck hatte ich nach der Lektüre des neuen Buchs von Daniel Glattauer. Der Österreicher, der sich 2006 mit dem ersten e-mail-Roman der Literaturgeschichte «Gut gegen Nordwind» vom Journalisten zum Schriftsteller gemausert hatte, schreibt mit «In einem Zug» im Grunde seinen damaligen Bestseller noch einmal. Es geht um einen Mann und eine Frau, die sich nicht kennen, per Zufall ins Gespräch und sich näherkommen. Diesmal halt nicht virtuell am Computer, sondern persönlich im Viererabteil eines Intercityzugs.  

Der berühmte Schriftsteller Eduard Brünhofer leidet unter einem Schreibstau und muss deswegen bei seinem Verleger antraben. Im Zug von Wien nach München wird er von einer Frau angesprochen, die zwar seinen Namen, nicht aber seine Bücher zu kennen scheint. Er will eigentlich nur in Ruhe gelassen werden, aber der vermeintliche Fan lässt nicht locker und verwickelt das Gegenüber in ein Gespräch über seine Arbeit und seine Werke. Nicht zuletzt dank der Rotweinvorräte in der Bordbar gewährt die Unterhaltung immer intimere Einblicke ins Gefühls- und vor allem Liebesleben des gefeierten Autors. Nicht einmal der vorübergehende Zuwachs der Abteilsgemeinschaft durch einen weiteren Mitreisenden bringt die aufsässige Fragerin zum Schweigen, und Brünhofer stellt erstaunt fest, dass ihm das Frage- und Antwortspiel über alle möglichen Aspekte des Lebens, der Liebe und des Schreibens zunehmend gefällt.

Weitere Handlung gibt es in diesem Werk, das man früher in die Kategorie «Konversationsroman» eingeordnet hätte, keine. Dafür nach der Ankunft in München eine umso überraschende Pointe, die an dieser Stelle natürlich nicht verraten wird. Sie reisst die über längere Strecken statische und wenig spannende Story am Schluss noch heraus. Und wer bis dahin durchhält, wird durchaus belohnt.    

Intermezzo. Von Sally Rooney.

«Ihr bisher bester!» preist ihr Verlag Sally Rooneys neuesten Roman an. Nun kenne ich dessen Vorgänger nicht, kann mir aber nach der Lektüre von «Intermezzo» gut vorstellen, dass der Superlativ seine Berechtigung hat. Die Geschichte, welche die 33-jährige Irin unter diesem Titel erzählt, erfüllt den wichtigsten Anspruch, den ich an ein Buch stelle: Es hat mich von der ersten Seite an gefesselt und bis zur letzten nicht mehr losgelassen.

In den Mittelpunkt der Story stellt die Autorin die beiden ungleichen Brüder Peter, einen charismatischen Juristen in den Dreissiger und Ivan, der mit 22 am Anfang einer vielversprechenden Karriere als Schachspieler steht. Trotz eines Altersunterschieds von zehn Jahren waren die beiden als Kinder unzertrennlich, bevor sie sich in verschiedene Richtungen entwickelten und entfremdeten. Die Handlung beginnt mit der Beerdigung des von beiden verehrten Vaters, bei der sie sich erstmals wieder treffen und sich zaghaft einander wieder annähern.  

Beide beschäftigen ihre Beziehungen zu Frauen. Peter erkauft sich sexuelle Befriedigung, indem er eine um Jahre jüngere und promiske Studentin aushält und den Frust über seine geschiedenen Ehe mit einer nach wie vor geliebten und verehrten Frau mit Alkohol und Drogen betäubt. Ivan hingegen verliebt sich am Rande eines Schachturniers in eine um Vieles ältere Witwe und wird wegen der vermeintlichen Aussichtslosigkeit dieser Mésalliance vom Bruder aufs Übelste gepiesackt.

Rooney gelingt es in «Intermezzo», diese problemorientierten Interaktionen zwischen Geschwistern anders als nach dem x-mal variierten «Schema F» abzuhandeln. Die Psychogramme von Peter und Ivan sind so fein ziseliert und deren schwieriges Verhältnis zu ihren Frauen derart vielschichtig ausgestaltet, dass die Irrungen und Wirrungen der beiden Männer jede Leserin und jeden Leser mit einem Herz in der Brust in ihren Bann schlagen muss.     

Romes Tod. Von Sabine Thiesler.

Die Autorin Sabine Thiesler ist Schauspielerin und hat – nebst TV – auch Bühnenerfahrung. Und ich finde es grossartig, wie man das bei der Lektüre des Buches merkt. Da geht es nämlich um einen Schauspieler, der an seinen Rollen zerbricht, zudem  um seine Geliebte und um die Mutter des Bühnenstars.

Sabine Thiesler beschränkt sich dann nicht auf eine Geschichte, einen Plot. Nein, sie zieht vorsichtig für jede ihrer Protagonisten eine Story auf die Leine und spielt grossartig damit. Wir begleiten den irren Schauspieler, wie er sich nebst seiner Geliebten eigentlich nur mit sich selbst und seinen Rollen beschäftigt, wie sind dabei, wenn  die verängstigte Geliebte ihrem Ex nachjagt und dabei sich, ihre Belgeiterin und ihre ganze Umwelt beschäftigt  und wir sehen, wie die zu neuem Leben erwachte Mutter des Schauspielers im Leben der beiden andern eine tragende Rolle einnimmt.

Das Buch bietet Spannung und gewährt einen wunderbaren Blick hinter die Kulissen der Theaterwelt – im wahrsten Sinne des Wortes. Es bietet aber auch einen Blick hinter die Kulissen von Menschen und erzählt deren Geschichten. Im letzten Drittel des Buches kommt es dann noch zu einem gewaltsamen Todesfall, der dann alles wieder auf den Kopf stellt. Komischerweise ist das aber in der Geschichte an sich keine grosse Überraschung. Denn die Autorin schafft es, dass man sowas erwartet.

Ich habe mir die gebundene Ausgabe gegönnt (22 € in DE; 33.90 CHF) und habe ein schönes und gutes Buch bekommen. Romeos Tod liest sich flüssig und bietet eine Grundspannung, die immer wieder zum Weiterlesen animiert.

Klare Leseempfehlung. Auch für LiebhaberInnen von unblutigen Geschichten.