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Das Cafe ohne Namen. Von Robert Seethaler.

Zwei Bücherchecks in einem. Passiert nicht alle Tage.

Für die zwei Wochen Sommerferien im abgeschiedenen Bergell hatte ich mir mit John Irvings neuestem und vielerorts hymnisch gelobten Buch einen richtigen Wälzer vorgenommen (1088 Seiten in der Printversion). Und was soll ich sagen? Als einer, der sonst in der Hoffnung auf einen gelungenen Finish auch noch das strunzdümmste Buch zu Ende liest, bin ich nach 600 zunehmend qualvoll durchlittenen Seiten von diesem «Letzten Sessellift» abgesprungen und habe mich in Robert Seethalers «Café ohne Namen» gesetzt.

Der 57-jährige österreichische Autor hat mich vor Jahren mit der berührenden Schilderung der Beziehung eines jungen Wiener Kioskausläufers zum berühmten Psychoanalytiker Sigmund Freud angefixt. Nach diesem beglückenden «Trafikant» habe ich alles von Seethaler gelesen: «Der letzte Satz» etwa, mit Gustav Mahler in der «Hauptrolle», «Das Feld» oder «Ein ganzes Leben». Im Gegensatz zu denen vieler anderer Schriftsteller (leider auch des vielgerühmten John Irving) verleiht dieser Autor seinen durchwegs unspektakulären Charakteren Profil, Originalität und Tiefe. Er schildert ihre Schicksale in einem Stil, der auf den ersten Blick unbeteiligt anmutet und erst auf den zweiten die Empathie offenbart, mit der er seine Figuren begleitet.

Im neuen Roman steht Robert Simon im Mittelpunkt, ein Gelegenheitsarbeiter auf dem Wiener Karmelitermarkt, der ein eigenes Café eröffnet. Die Quartierbewohner kommen zu ihm und bringen ihre Geschichten mit. Mehr Handlung, mehr Spannung ist nicht, aber kein Setting wäre geeigneter für den Menschenschilderer Seethaler. In seiner schlichten Prosa und mit dem wohlwollenden Blick fürs Detail lässt er uns an ihrem Leben teilhaben.

«’Das Café ohne Namen’ ist ein Roman über den menschlichen Drang zum Aufbruch», bilanziert ein professioneller Kritiker. Kann man so sehen, muss man aber nicht. Das Lesevergnügen und der Erkenntnisgewinn sind auf jeden Fall beträchtlich.

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