Wer sich mal wieder geärgert hat ob trendiger Zeitgeistautor(inn)en, die mit lauter rotzig-coolen Wortkapriolen und superoriginellen Metaphernorgien darüber hinwegtäuschen wollen, dass sie keine Geschichte erzählen können, soll zum neuen Buch von Bernhard Schlink greifen. Der heute 78-jährige deutsche Jurist, Hochschullehrer und Schriftsteller hat 1995 mit «Der Vorleser» einen Welterfolg gelandet und legt nun mit «Die Enkelin» nach.
Die 365 Seiten handeln von einem Buchhändler aus Westdeutschland, der sich vor dem Fall der Berliner Mauer in eine Studentin aus der DDR verliebt, ihr zur Flucht in den Westen verhilft und sie heiratet. Das einst regimetreue FDJ-Mitglied wird aber nie heimisch im kapitalistischen System, verfällt dem Alkohol und stirbt. In ihrem Nachlass findet ihr Mann ihm unbekannte Unterlagen, die darauf hindeuten, dass sie vor der Ehe ein uneheliches Kind zur Adoption freigegeben hat und es nie über sich gebracht hat, nach dieser Tochter zu suchen.
Das übernimmt nun ihr Mann und findet die Frau, die verheiratet ist und mittlerweile selber eine Tochter hat. Obwohl die Mauer längst gefallen ist, lebt deren Familie in einer völkischen Gemeinschaft im Osten und hält die Ideale der untergegangenen DDR hoch. Die Enkelin verbringt nun zunehmend Zeit mit ihrem Stiefgrossvater im Westen, was Schlink die Möglichkeit gibt, die an sich schon x-mal beschriebenen Konflikte und Widersprüche von sozialistischen Idealen und westlichem Kapitalismus zu beschreiben, an denen schon die Grossmutter des Mädchens, wie so viele ihrer Zeitgenoss(inn)en, zerbrochen ist.
Aber wie er das tut! Trotz des hoch emotionalen Themas, der dramatischen Lebensgeschichten, der inneren Zerrissenheit der Protagonisten wie schon im «Vorleser» in einfachen Wörtern, schlichten Sätzen und unaufgeregten Schilderungen - beinahe unbeteiligt. Und trotzdem packt einen die Geschichte und fesselt einen von der ersten bis zur letzten Seite. Ein «page turner» vom Feinsten!