Das glückliche Geheimnis. Von Arno Geiger

Arno Geiger – Das glückliche Geheimnis      

Das ist ja ein Ding! Da lädt man sich, aufmerksam geworden von einer beiläufig überflogenen Besprechung im gehobenen Feuilleton, ein Buch mit dem Titel «Das glückliche Geheimnis» auf den Reader und beginnt ohne weitere Vorbereitung mit der Lektüre. Die Story beginnt vielversprechend, handelt sie doch von einem jungen Mann, der täglich in aller Herrgottsfrühe durch Wien radelt und Altpapiercontainer durchwühlt. Die dabei gemachten Funde, von Tagebüchern über Briefe bis hin zu Raritäten wie «Die gründliche Violinschule» von Leopold Mozart aus dem 18. Jahrhundert inspirieren ihn zum schriftstellerischen Schaffen, mit dem er den Rest des Tages füllt.

Spätestens an dieser Stelle wurde ich stutzig und googelte den Autor Arno Geiger, von dem ich zugegebenermassen nicht nur noch nie etwas gelesen, sondern auch wenig gehört hatte. Dabei stellte sich heraus, dass die Altpapierbesessenheit des Ich-Erzählers keineswegs fiktiv war, sondern die langjährige heimliche Leidenschaft des 54 jährigen Österreichers, von dem bis zum Erscheinen des Buchs allerdings nicht nur ich, sondern auch kaum jemand anders gewusst hat. Ein «glückliches» Geheimnis eben, aber dieses Doppelleben hat Geiger gemäss eigenem Bezeugen zu seinem respektablen Ruf als Schriftsteller verholfen. Immerhin erhielt er 2005 für seinen Roman «Es geht uns gut» den Deutschen Buchpreis.

Von diesem Highlight seines Schaffens ist im «Glücklichen Geheimnis» denn auch verschiedentlich die Rede. Und auch sonst enthüllt das offenherzige, gefällig geschriebene und leichthin gelesene Buch viel Persönliches über den Verfasser. «Anläufe und Enttäuschungen, Finden und Wegwerfen und vom Glück des Gelingens» eben, wie es der Klappentext formuliert. 

Das Erbe der Toten. Ian Rankin.

Ich muss zugeben: Dieses Buch hat mich überfordert! Ich musste mich regelrecht durchkämpfen und habe knapp 500 Seiten darauf gewartet, bis mich die Handlung packt und etwas Lesefreude vermittelt. Aber es kam nichts. Und das Komplizierte daran ist: ich weiss nicht einmal weshalb.

Am Autor kann es nicht liegen. Er sei - so der Klappentext - "einer der erfolgreichsten Krimiautoren der Gegenwart" (Das liest man durchschnittlich auf jedem zweiten Klappentext). Er wurde sogar mit dem "Order des britischen Empires" ausgezeichnet. Also: Schreiben kann der.

Vielleicht erklärt sich mein Missfallen damit, dass der Protagonist der Geschichte, ein abgehalfteter Ermittler, der von Autor Ian Rankin bereits 1987 zum ersten Mal eingesetzt wurde, schon seit 24 Büchern unterwegs ist und seine regelmässige Leserschaft eben schon seit bald 40 Jahren in Beschlag genommen hat. Ich bin erst jetzt dazu gekommen und werde mich wieder absetzen.

Die Handlung ist ein Sammelsurium von Themen. Rebus (eben dieser Protagonist) kümmert das nicht und er ermittelt alleine, ausser Dienst und illegal, währenddessen seine Kollegen und Kolleginnen der Polizei offenbar alles falsch sehen und immer einen Schritt hinten drein sind.

Es hat keinen grossen Sinn. Das Buch mag gut sein und die Rebus-Fans erfreuen. Ich fand nichts an dem Buch und würde das auf keinen Fall jemandem zum Lesen geben. Das ist aber meine Meinung....

Argentina 1962 - 1964. Von Trudi Harmath

«Willst du immer weiter schweifen, wenn das Gute liegt so nah?» fragte einst Johann Wolfgang von Goethe. Beim Lesen kann man manchmal beides gleichzeitig - vorausgesetzt, man nimmt den Reisebericht eines lokalen Autors zur Hand. So entführt uns die Baslerin Trudi Harmath in ihrem Buch «Argentina 1962 – 1964» nach Südamerika.   

Dass junge Leute nach Abschluss ihrer Ausbildung erst einmal die Welt bereisen wollen, ist nicht Neues. So bewirbt sich die 1936 geborene und eben frisch diplomierte Kinderkrankenschwester Gertrud Bachmann um eine Stelle in Buenos Aires. Unvorbereitet und mit rudimentären Sprachkenntnissen geht sie 1962 auf die Reise, und schon die arglosen Schilderungen der Schiffspassage über den Atlantik sind köstlich. Die reiseungewohnte Trudi ist eine Art «Forrest Gump» avant la lettre; rund um sie herum passieren die skurrilsten Dinge, die sie ungerührt und ohne Gemütsaufwallung zur Kenntnis nimmt und kommentiert.

Im gleichen Stil geht es weiter, als sie in Buenos Aires auf ihre «Herrschaften» trifft. Die reiche jüdische Familie hat vier Kinder, eine grosse Wohnung in der Hauptstadt sowie zwei Farmen und ein Ferienhaus für den Winter. Zwischen diesen teils um Tagereisen auseinanderliegenden Domizilen reist die junge Frau mit ihren Schutzbefohlenen pausenlos hin und her; zeitweise allein mit den Kindern, weil die Eltern wochenlang abwesend sind. Doch die beherzte Schweizerin meistert auch die bizarrsten Situationen mit gesundem Menschenverstand und schildert sie so nüchtern-distanziert, als seien es Selbstverständlichkeiten.

Trudi geht unbeschadet aus allen überseeischen Abenteuern hervor und kehrt nach zwei Jahren um jede Menge Erfahrungen ins heimatliche Basel zurück. Dort macht sie sich in der Elternberatung, als Puppenspielerin und mit einem Märchenbuch einen Namen als Kunstschaffende. Ihr Buch ist kein Kandidat für einen Buchpreis, aber auf jeden Fall unterhaltende und zeitgeschichtlich aufschlussreiche Lektüre. 

Zwanzig Tage. Von Daniel Levin.

Daniel Levin erzählt in diesem Buch eine wahre Geschichte, die er 2014 erlebt hat, als er den Auftrag erhält, im Nahen Osten einen vermissten Sohn eines Bekannten zu suchen. Nach einer Einführung in die Thematik verstehen wir Lesenden schnell, dass diese Aufgabe, auch für einen erfahrenen Unterhändler wie Daniel Levin, etwa so realistisch ist, wie wenn man in einem Teich voller Krokodile nach einer verlorenen Uhr tauchen muss.

Ich weiss nicht, wie sehr "wahr" die Geschichte ist. Ich weiss auch nicht, woher Levin die Gabe hat, sich an so viele Details zu erinnern. Was ich aber nach der Lektüre dieses Buches weiss ist, dass ich - und wahrscheinlich der grosse Teil der Menschen - nicht weiss, was im Nahen Osten so täglich an Gewalt, Korruption, Erpressung, Drogengeschäften abgeht. Und dass bis in die höchsten Regierungskreise nichts und niemand vertrauenswürdig zu sein scheint. Es ist eine wahrhaftig scheussliche Story, die Levin hier erzählt. Sehr spannend. Und - falls sie dann wirklich wahr ist - unglaublich mutig.

Der Ausgang der Geschichte ist durchzogen. Das Ziel wird wohl nicht erreicht, aber trotzdem werden viele Ungereimtheiten wieder gerade gebogen und einige der schlimmen Typen aus dieser Geschichte eliminiert. Das hilft aber nicht über die Tragik hinweg, die z.B. junge Frauen in diesen Städten im Nahen Osten erleiden müssen. Das führt dazu, dass ich wenig Verständnis habe, wenn Frauen sich in unserer Hemisphäre benachteiligt fühlen, weil vor dem Bürogebäude nur "Besucher"-Parkplätze und keine für "Besucherinnen" bereit stehen. Da denke ich an die Kindsfrauen in den Bordellen von Dubai und das stimmt mich traurig.

Ja, es ist kein Buch für einen beschwingten Frühlingsbeginn. Aber vielleicht tut es mal wieder gut sowas zu lesen. Um zu verstehen, wie gut wir es alle hier haben. Egal ob Besucher oder -in. Das Buch liest sich schnell und flüssig. Aber - wenigstens ich - musste es ab und zu niederlegen, um meine Gedanken zu züglen.

Etage 13. Von C.M. Evan

Das hier ist meine persönliche Definition: Ein "Kriminalroman" (ugs: Krimi) ist eine Geschichte, die meistens mit einem toten Menschen beginnt und dessen Erzählung bzw. Geschichte sich darum dreht, wer den Menschen getötet hat und allenfalls noch warum. Ein "Thriller" hingegen muss nicht zwingend mit einer Leiche beginnen. Sondern es ist eine Geschichte, die im Laufe der Zeit immer spannender wird, unerwartete Wendungen nimmt und in den meisten Fällen recht brutal sein kann.

Ein unglaublich gutes Beispiel für einen gewaltigen Thriller ist "Etage 13" von C.M. Evan. Der Autor, der Jura und Literatur studiert hat (da muss man ja Thriller-Autor werden) beginnt seine Geschichte mit einem ganz einfachen und unverdächtigen Bewerbungsgespräch. Und sie endet in einem Desaster und der Autor nimmt alles, was er in der Trick--Kiste findet um die Lesenden zu verwirren, zu überraschen oder zu schockieren zu Hilfe. Und letztlich wird das zu einem Pageturner der Extraklasse.

Ich werde nix vom Inhalt aufschreiben. Aber ich kann garantieren, dass dieses Buch mit Sicherheit einer der besten Thriller ist, den ich in den letzten Jahren gelesen habe. Grossartige - nicht unmögliche - Geschichte in einer Umgebung, die uns allen bekannt ist. Grossartig geschrieben. Gemischt in "Ich-Form" und im Erzähl-Stil.

Spannung ist garantiert. Und falls Sie in den nächsten Tagen ein Bewerbungsgespräch vor sich haben: Viel Glück dabei. Aber lesen Sie um Himmelswillen die "Etage 13" erst danach...

Tausche zwei Hitler gegen eine Marylin. Von Adam Andrusier

 

In einem früheren Check (https://www.buechercheck.com/2022/02/20/serge-von-yasmina-reza/) habe ich mein Faible für den jüdischen Humor offengelegt. Ohne es darauf abgesehen zu haben, bin ich nun in Adam Andrusier auf einen neuen Stern an diesem Witzhimmel gestossen. Und habe in seinem Erstlingsroman «Tausche zwei Hitler gegen eine Marylin» eine mir bisher völlig unbekannte Welt entdeckt.

Der Ich-Erzähler Adam sammelt Autogramme, handelt sogar damit. Auf den ersten Buchseiten hielt ich diese Marotte für fiktional und ein Mittel des pubertierenden Jungen, sich von seinem ebenfalls exzessiv sammelnden Vater (Postkarten von zerstörten Synagogen ...) abzugrenzen. Schon nach den ersten Kapiteln, die jeweils mit den Namen und den Signaturen Prominenter von Boris Jelzin bis Monica Lewinsky eingeleitet werden, wurde mir jedoch klar, dass die vermeintliche Fiktion Andrusiers gelebte Realität widerspiegelt.

Trocken, wie unbeteiligt und gerade deshalb höchst unterhaltend erzählt Adam von jeder Unterschrift, wie er sie ergattert oder an einer einschlägigen Messe gekauft respektive getauscht hat. Wer sich nie mit diesem Hobby auseinandergesetzt hat, staunt über die Anlässe, Figuren und Publikationen, die diese ganz eigene Welt bevölkern. Und dass es die wirklich gibt, bestätigt Wikipedia. Dort wird der Autor nicht nur als Musiker, sondern tatsächlich auch als international renommierter Autogrammsammler und -händler gelistet.  

Noch besser zum Tragen kommt der jüdische Humor in der parallel zur erzählten Familiengeschichte. Die illusionsfrei geschilderten Zores des jungen Adam mit dem hyperaktiven Vater und der frustrierten Mamma, deren Ehe vor seinen Augen scheitert, aber auch der Leidensweg im Umgang mit dem anderen Geschlecht bis hin zur glücklichen Ehe mit Rachel treiben eins übers andere Mal Lachtränen in die Augen. Und sind vermutlich so aus dem wirklichen Leben gegriffen wie Andrusier und seine Autogramme.

Melody. Von Martin Suter.

Ein neues Buch von Martin Suter ist für den Fan des früheren Starwerbers vergleichbar mit dem Eintauchen in ein warmes Bad. Wie das wohltemperierte Wasser in der Wanne umplätschert einen alsbald wohlig der lakonisch-distanzierte Duktus der Suter’schen Sprache, parfümiert mit der vertrauten Duftmischung aus Business Class, Geri Weibel und Allmen. Wie kein zweiter versteht es der 75-jährige Zürcher mit Basler Vergangenheit, Alltag und Abenteuer seiner sorgfältig charakterisierten Figuren mit dem Lack liebevoll beobachtender Ironie zu überziehen. Auch im neuen Roman mit dem Titel «Melody».

So heisst die junge Buchhändlerin, die dem hochdekorierten Zürcher Verwaltungsrat, Unternehmer, Offizier, Politiker und Zünfter Peter Stotz den Kopf verdreht, ihn aber kurz vor der mit allem Pomp und Prestige geplanten Hochzeit überstürzt verlässt und nie mehr auftaucht. Suter läuft erwartungsgemäss bei der genüsslichen Schilderung dieses Typs, seines Zürichberg-Milieus und der dort dominierenden Gesellschaftsschicht zur Hochform auf. Ebenso bei der Charakterstudie des gescheiterten Studenten Tom Elmer, der ein halbes Jahr vor Stotzens Tod für ein fürstliches Honorar dessen Archiv auf eine makellose, nachrufgeeignete Grösse ausmisten soll. Bei dieser Arbeit, während der er sich in des Alten Nichte und Alleinerbin Laura verliebt, stösst er auf geheimnisvolle Spuren besagter Melody. Alle deuten darauf hin, dass Stotz das Verschwinden seiner grossen Liebe nicht verwunden und die Suche nach ihr nie aufgegeben hatte.

Als Stotz schliesslich das Zeitliche segnet und Laura als mehrfache Millionärin zurücklässt, macht sich diese mit Tom auf Spurensuche. Die beiden reisen auf eine abgelegene griechische Insel, wo man ihnen einen todkranken Ehemann und  das Grab mit dem Namen der Gesuchten präsentiert. Dass aber auch da nichts so ist, wie es aussieht, dafür sorgt Suter mit der von seinen Gewohnheitslesern ungeduldig erwarteten und vom Meister immer noch perfekt beherrschten Wendung auf der letzten Buchseite. Muss man selber lesen ...

Banksy und die blinde Fleck. Von Bernhard Jaumann.

Ich muss zwei Dinge vorausschicken: Erstens bin ich ein grosser Fan von Banksy. Ich gehe auch an die unauthorisierten Ausstellungen von diesem Künstler und kaufe dann dort eine Tasse oder ein Poster. Also wenn schon, dann gleich richtig. Dann zweitens: Als ich auf dieses Buch gestossen bin, wurden deshalb sämtliche Kauf-Kriterien über Bord geworfen. Ich musste das einfach erstehen!

Das ist dann auch ein sehr aussergewöhnliches Buch: Es ist als "Kriminalroman" deklariert. Die Protagonisten sind Privatdetektive einer Agentur, die sich auf Kriminalität in der Kunstszene spezialisiert hat und das Verbrechen, welches letztlich zu einer Verhaftung führt, geschieht auf den letzten 100 von 300 Seiten und ist eigentlich ein Verkehrsunfall. Die "Straffälle" an sich sind Ratten, von welchen niemand weiss, ob sie vom Original-Banksy oder einem Nachahmer in München in grosser Zahl an verschiedene Mauern gesprüht werden. Der Hype, der um diese aufgesprayten Tiere entsteht, ist enorm und endet bei Auktionen, bei welchem die Werke Höchstpreise erzielen.

In diesem Buch spielt Banksy die Hauptrolle, obwohl er - vielleicht - gar nie auftaucht. Aber es wird sehr viel über seine Identität, seine Arbeiten, sein Leben, seine Arbeitsweise und sein Umfeld geschrieben. Für einen Banksy-Fan ein Paradies.

Die Geschichte interpretiert den Begriff "Kriminalroman" auf eine ganz neue Weise: Ein Krimi braucht nicht zwingend einen ermordeten Menschen, um als "Krimi" deklariert zu sein. Es braucht einfach ein paar kriminelle Handlungen und sogar diese sind nicht ganz offensichtlich und klar. Sind den "Kunstwerke" von Banksy kriminell? Letztlich entsteht in München - wie beschrieben - ein kolossaler Hype um diese Sprayereien, sodass ganze Garagentore demontiert und versteigert werden.

Das Buch ist Klasse. Und ich glaube nicht nur, weil ich Banksy mag. Sondern weil es einerseits witzig geschrieben ist, weil es mal einen ganz anderen Anspruch an einen Krimi erfüllt und weil es sogar noch lehrreich ist. Letztlich geht es zwar dann doch noch um eine kriminelle Verschwörung. Die allerdings ist eher unblutig und harmlos.

Der Autor Bernhard Jaumann ist ein Münchner. Seine Sprache ist sauber und seine Mischung zwischen Dialogen und Geschichte ist ausgewogen, lesbar. Der Plot lebt von einem langsamen Aufbau und einer unerhört präzisen Beschreibung des Phänomens "Banksy". Dies ist der dritte Band der Reihe um die Kunstdetektei "von Schleewitz". Und hoffentlich nicht der letzte.

Sternenfeld. Von Rolf von Siebenthal.

Nach der Lektüre dieses Buches beschäftigen mich zwei Dinge.

Rolf von Siebenthal schreibt in seinem Nachwort: "Wie für jeden meiner Krimis gilt: Diese Geschichte ist Fiktion, die Personen und Ereignissie sind frei erfunden. Real dagegen sind die Orte und Schauplätze, die in diesem Buch beschrieben werden." Soweit so klar: Birsfelden, Basel, Lauwil, der Hafen oder der Friedhof Uster - alles real. Raab, seine Freundin, deren Tochter, die Mafia, die Pflegefachfrau und sein alter Mentor - alles erfunden. - Mit dem könnte man ja gut klar kommen.

Nun kommen aber in diesem Buch dermassen viele Schiessereien und Tötungen vor, die in einer "realexistierenden" Stadt wie Birsfelden oder Basel wohl eine Ausgangssperre auslösen würden. Oder anders gesagt: Diese Rezension entsteht an jenem Sonntag im März 2023, als man in Niederkassel-Lülsdorf (DE) eine tatsächliche Leiche kopfüber in einem Abfluss-Schacht gefunden hat. Also ziemlich spektakulrär. Und tatsächlich: innert Kürze war die Nachricht in ganz Europa verteilt und in Lülsdorf ist die Welt nicht mehr so, wie sie vorher war. - Wenn sich aber der Protagonist Raab eine Schlacht an einer Tankstelle in Reigoldswil liefert oder zum Schluss des Buches zwei alte SchulkollegInnen ermordet und sie dann in den Rhein wirft, das geht an dieser Stadt bzw. der Geschichte spurlos vorbei. Das ist weit weg von der Realität und stört, zumindest mich, ein bisschen. Wenn denn schon "alle Orte und Schauplätze" real sind, dann dürfte sich auch das Leben dort (welches bei den Raab-Geschichten generell kaum stattfindet) etwas realer anfühlen.

Das zweite ist sehr persönlich und darf eigentlich hier gar nicht stehen. Trotzdem: Mich ärgert die immer wieder bemühte Geschichte des "Sich selbst Entlassens aus dem Spital", nur um zu beschreiben, was der Protagonist doch für ein harter Kerl ist (komischerweise kommt das bei Frauen höchst selten vor...). Dieser literarische Trick wird immer wieder bemüht. Sowohl in Büchern wie auch in Filmen - meistens in Krimis. Und mich langweilt er. In vorliegenden Fall gehts dem Selbstentlassenen wenigstens danach richtig dreckig (was ihn aber nicht am Töten hindert...). Bei andern Fällen spazieren die Patienten tags darauf herum, als hätten sie die Physiotherapeutin geheiratet.

Was Spass macht an diesem Buch ist die Anlage der Teilnehmenden: Der Protagonist ist kein verschrobener Kommissär, kein pensonierter und gelangweilter Arzt, kein Rentnercop oder auch kein Wirt - sondern selber ein Krimineller, der eigentlich, wenn das Leben normal läuft, innert 20 Minuten ein Haus leerräumt. Dabei trifft er dann - zum Auftakt eines Bandes - auf Leichen oder andere Kriminelle. Das ist, das will ich gerne zugeben, sehr amüsant und vor allem gut erfunden.

Der Autor ist - gemäss Klappentext - ausgebildeter Sekundarlehrer und ein "Schreiberling" aus Passion. Das merkt und geniesst man. Das Geschriebene ist flüssig, schön und leicht zum Lesen.

Damit wir uns alle richtig verstehen: Ich fand diesen Band zwar etwas "too much". Aber die Geschichten mit Raab sind spannend und etwas anders als andere... Zudem: auf den letzten sieben Seiten des Buches druckt Rolf von Siebenthal das erste Kapitel des im Frühjahr 2024 erscheinenden, nächsten Abenteurers des Einbrechers Raab ab. Und ich werde auch diese Geschichte dannzumal lesen.

Chöid ers eso näh? Von Pedro Lenz

 

von Roger Thiriet

In einem früheren Check habe ich geschrieben, dass noch lange nicht jede(r) begabte Kolumnist(in) auch einen anständigen Roman zustande bringt (https://www.buechercheck.com/2022/02/20/ende-in-sicht-von-ronja-von-roenne/). Nach der Lektüre der Kolumnensammlung von Pedro Lenz muss ich sagen: Das gilt auch umgekehrt. Während Lenz in seinen Romanen wie «Dr Goali bin ig» oder «Primitivo» https://www.buechercheck.com/?s=Pedro+Lenz mit authentischen Milieuschilderungen und grossartig gezeichneten Charakterstudien zu brillieren weiss, kommen seine gesammelten Kolumnen unter dem Titel «Chöit ers eso näh?» kaum je über den öden Alltagsbeobachtungskolumnen-Mainstream hinaus, aus dem leider in den Deutschschweizer Medien nur noch vereinzelt wirkliche Könner(innen) dieses anspruchsvollen Fachs herausstechen.  

Interessant ist an diesem harschen Urteil übrigens die Rolle des Dialekts, dem Markenzeichen Lenz’scher Prosa. Während sein Bern-/Solothurn-/Oberaargau-Dialektgemisch als unverwechselbares Stilmerkmal in seinen Romanen die Authenzitität der lakonischen Lenz-Schreibe betont und quasi «veradelt», bewirkt der Dutzenddialekt in Kolumnen wie «Chöit ders eso näh?» genau das Gegenteil. Der Dialekt wird hier zum «Buuretütsch», zur Ausdrucksform der einfachen Leute, die nicht einmal hochdeutsch können, und verstärkt entsprechend die Einfachheit und das Belanglose des Inhalts. «Der Berner Pedro Lenz ist derzeit wohl die begehrteste Stimme im Bereich Spoken Word», lobte einst die SRF-Mundart-Spezialistensendung «Schnabelweid», «also jener Literatur, die primär für die Bühne geschrieben wird.» Und nicht für intelligente und originelle Kurztexte – vor allem, wenn diese keins von beiden sind.